ZWILLING – eine chinesische Liebe in der Krise?
Der Kult für die deutsche Marke scheint bei Chinesen abrupt abzuflauen. Aber warum? Und warum so abrupt?
Ist ZWILLING ein Beispiel für drohenden Marken-Burnout bei Marken-Überdehnung in der Digitalen Zukunft?
Eine persönlich erlebte Geschichte hat mich auf diese Frage aktuell sehr direkt aufmerksam gemacht.
Unser 15jähriger Sohn macht in diesem Herbst einen China-Schüleraustausch mit einer Schule in der Region Chongqing (Anm.: Chongqing ist mit 32 Mio. Einwohnern die größte Stadt der Welt).
Die chinesischen Schüler waren vor 4 Wochen bei uns zu Gast. Um ihnen ein möglichst interessantes Erlebnisprogramm zu bieten, hatte ich mir u.a. einen Trip zur nahegelegenen „Messerstadt“ Solingen ausgedacht.
In China, so glaubte ich zu wissen, hat die Traditionsmarke ZWILLING geradezu Kultstatus.
Nach einem Besuch im Deutschen Klingenmuseum (sehr zu empfehlen!) ging es zum ZWILLING Werksverkauf.
Meine Idee: ein Gastgeschenk für die Eltern unseres Gastes Lingkai: ein echtes ZWILLING Messer direkt aus Solingen. Da es in China wohl nicht – wie in Deutschland den Aberglauben gibt, „dass man kein Messer verschenkt, da es die Freundschaft zerschneidet“ – hielte ich das für eine gute Idee.
Der Firmen-Shop hatte mit meiner Erwartung an eine Messermanufaktur nichts mehr zu tun. Hatte ich in den letzten Jahren keine Markenwahrnehmung mehr oder was war inzwischen passiert?
Ein geradezu ausuferndes ZWILLING-Sortiment prasselte auf uns ein. Vermischt mit Produkten der Marken Staub, BSF, Ballarini, Miyabi, Demeyre. Verwirrend!
Messer in allen Variationen, Töpfe, Koch-Geschirr, Gläser, Textilien, Küchenhelfer, Küchenwaagen, Bestecke.
Gefühlt 1.000 Produkte.
Die Begeisterung von Lingkai – unserem Gast – war kaum zu erahnen. Obwohl es nicht die chinesische Art ist, Begeisterung zu zeigen, machte mich die äußerst spärliche Reaktion doch stutzig. Wir verließen fluchtartig den „Kultort” ohne Messerkauf.
Ich fing an zu recherchieren und siehe da: Absatzrückgang in China!
Wie der neue Werhahn-Chef Paolo Dell’Antonio den Umsatzrückgang bei Zwilling erklärt:
„In China – dem Hauptmarkt für ZWILLING war der Premium-Markt durch die Konsumentenverunsicherung aufgrund des US-Handelsstreits stark rückläufig, Vertriebskanäle verschieben sich massiv in Richtung Plattformen. Auch haben die chinesischen Touristen bei ihren Besuchen in Europa deutlich weniger konsumiert.“
Kann man glauben, aber auch Zweifel hegen, ob das die wahren Gründe sind.
Den zukünftigen Ausweg daraus sieht ZWILLING so:
„Zwilling Enfinigy“. Mit den hochwertigen Elektrogeräten dieser Serie betritt Zwilling den Bereich „Smart Kirchen“. Mit App und Smartphone kann man in der intelligenten Küche (Smart Kitchen) verschiedene Elektrogeräte miteinander verbinden, es ermöglicht so digital assistiertes Kochen.“
Ob das der rettende Weg ist? Abwarten!
In Deutschland, so meine Recherchen, hat sich die Markenfaszination für ZWILLING im Kernkompetenz-Bereich Messer unter Kochbegeisterten stark zurück entwickelt.
Diese Messermarken aus Solingen sind wieder bei Kochbegeisterten im Aufwind: ganz vorne GÜDE, Wüsthof, Windmühlen Herder, Burgvogel, Böker.
Man hört es in Spezial-Küchengeschäften: die Verbraucher achten wieder auf authentische Schneidwaren-Marken aus einer Traditions-Herkunft Solingen.
ZWILLING nimmt man die authentische Herkunft Solingen und Made in Germany nicht mehr ab.
Damit reiht sie sich ZWILLING ein in ausufernd gedehnte Marken wie WMF oder Villeroy & Boch.
Geht man auf die Frankfurter Messe AMBIENTE sieht man noch mehr dieser Marken, deren Sortimente künstlich aufgeblasen wurden durch zweifelhafte Markendehnungen.
Die französische Marke Le Creuset ist auch solch ein Beispiel. Der Le Creuset Liebhaber denkt an die wunderbaren gusseisernen emaillierten Brattöpfe und –pfannen mit dem unnachahmlichen französischen Flair, in denen sich die Wärme optimal vom Boden bis in die Wände verteilt und lange gespeichert wird.
Le Creuset ist heute ein unendliches Universum an Produkten: Geschirr, Mühlen, Korkenzieher, Messer, Poterie, Wasserkessel, usw.
Laut Gfk ist Reichweite und Umsatz der Fetisch vieler Marketing-Strategien geworden. Blinde Aktionitis wird zum ein Haupt-Faktor für Marken-Burnouts.
Die Digitalisierung ist ein wahrer “Brandbeschleuniger” dieser Entwicklung. Markenerleben eines massiv erweiterten Sortiments kann auf vielen Online-Plattformen nicht adäquat inszeniert werden. Auch wenn man, wie Zwilling auch massiv in Flagship-Stores investiert. Das Ziel, ist 500 Stores weltweit.
Was oft bleibt ist auf der Suche nach bestimmten Produkten das Einzelprodukt einer sogenannten „Markenwelt“, die ich als Verbraucher aber niemals – so wie baabsichtigt – zu Gesicht bekomme.
Wenn ich nach einem Messerblock suche, dann stoße ich eben auf Güde, Wüsthof, Windmühlenmesser – mit all den Kundenrezensionen bei den Spezialisten. Da zählt die tolle emotionale „Markenwelt“ so gut wie gar nicht mehr. Da zählt das Markenvertrauen, die authentische Story, die Empfehlung der Fachwelt und der Opinion Leader in Rezensionen.
Der Weg für die Markenführung – besonders in der Digitalen Zukunft ist auch lt. Empfehlung der GfK:
- Kohärenter Sortimentsaufbau
- Investition in Markenvertrauen und Markenloyalität
- Investition in die emotionale Bindung
Wir haben unserem chinesischen Freund deshalb ein Sortiment von ORIGINAL Düsseldorfer ABB Senf mitgegeben . Über das scharfe Mitbringsel hat er sich mehr gefreut als über die abgeflachte Schärfe der Marke ZWILLING.