Markenpersönlichkeit ohne Glaubwürdigkeit
ist wie ein Mensch ohne Charakter.

Als ich meine Marketing-Karriere bei Unilever Mitte der 1970er Jahre begann, suchte man bei Neuprodukteinführungen nach einem relevanten, noch nicht erfüllten Produktnutzen, begründete ihn durch eine logische Begründung (Reason-Why) und kommunizierte didaktisch z.B. durch einen eindrucksvollen Nutzenbeweis anhand einer didaktischen Demonstration am besten im Links-Rechts-Vergleich (ohne – mit) à la Procter & Gamble oder durch ein möglichst glaubwürdig erscheinendes „Konsumenten-Testimonial“ möglichst mit kräftiger TV-Werbung.

Der Erfolg ließ nicht lange auf sich warten. Schönwetter-Markenführung!

Meine erste Positionierungsstrategie, an der ich mitwirken durfte, war Rahmspinat mit dem Blubb frischer Sahne von IGLO, (den man sehr viel später mit Verona Feldbusch wieder aufleben ließ).

Das war auch die Zeit des TAED-Systems für OMO-reinere Wäsche, des blend-a-med Apfelbisses, der bewies, dass man bei täglicher Anwendung auch morgen noch kraftvoll zubeißen konnte, die Jod-S11-Körnchen (übrigens eine kreative Verkürzung des Phantasie-Begriffs „Sonnenscheinkörnchen“ (S+11 Buchstaben), die gegen die berüchtigte Sittich-Schilddrüsenkrankheit schützen sollten oder das OPEL-Sicherheitsfahrwerk, auf dem man wie auf Schienen fuhr.
Begriffe wie Positionierungsstrategie oder Markenpersönlichkeit gab es natürlich auch schon. Glaubwürdigkeit wurde vom Verbraucher sozusagen unterstellt, wenn sich eine Marke „groß“ in der Werbung herausstellte.

Markenidentität? Markenpersönlichkeit? Der Verbraucher hat es geglaubt und brav gekauft.

 

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Heute floppen bekanntermaßen 70-90% aller Neueinführungen im FMCG- (Fast Moving Consumer Goods) Bereich. Warum eigentlich?

Liegt es an der mangelhaften Markenführung, an schwacher Markenpersönlichkeit an der fehlenden Positionierungsstrategie?

Oder sind wir heute alle übersättigt von Innovationen, die keine mehr sind? Sind wir müde, immer wieder Neues auszuprobieren und dem so genannten Fortschritt atemlos hinterher zu hecheln? Sehnen wir uns danach, das schon Gute und Vertraute vielleicht einfach nur den kleinen Schritt besser zu bekommen? Und dem, was angeboten wird, zu vertrauen?

Warum, so fragen sich viele, wird ein Golf von Generation zu Generation immer größer und warum inzwischen so teuer wie früher ein kleiner Mercedes? Warum brauchen wir das für unser Leben? Warum bleibt dieser „Volkwagen“ kein Volkswagen? So wie der Name es sagt: erschwinglich für das Volk.

Der Verlust der Glaubwürdigkeit von Marken wird für diejenigen, die für Markenführung oder Markenidentität verantwortlich sind, immer brisanter. Das Thema bekommt einen zunehmend größeren Stellenwert in Marketing.

2016 sagten 70% der Verbraucher: Es ist pfiffig, Handelsmarken zu kaufen, weil man gute Qualität zu einem günstigeren Preis bekommt.

Sagten 2006 noch fast 86% der Verbraucher, dass sie ihrer Marke treu bleiben, wenn sie ihr einmal vertrauen und mit ihr zufrieden sind, sind es heute nur noch 46%.

Markenpersönlichkeit braucht Vertrauen.

Zahlreiche qualitative Studien, die mit psychologischen Methoden hinter die inneren Motive der Verbraucher (Consumer Insights) blicken, zeigen in den letzten 10 Jahren eine zunehmende Skepsis und Ungläubigkeit gegen Markenversprechen. Die Glaubwürdigkeit von Marken scheint eine tiefe Krise zu erleben. Vor allem die bisher innovationsfreudigen, gebildeten Zielgruppen (Moderne Performer und Postmaterielle) werden immer skeptischer.

Nutzenüberlegenheits-Versprechen oder gar Alleinstellungs-Behauptungen werden nicht selten von Fokusgruppen mit Spott und Hohn kommentiert. Man ist nicht mehr bereit, Markenversprechen blindlings Glauben zu schenken. Man macht sich über ungelenke Versuche, Überlegenheitsaussagen glaubhaft zu machen, unverhohlen lustig.

Es scheint sich verstärkt eine kategorisch ablehnende Grundhaltung gegenüber innovativen Konzepten aufzubauen, die nicht mit einer Glaubwürdigkeit der Markenpersönlichkeit in Einklang steht.
Die Menschen sind in ihrer Haltung gegenüber Neuem zutiefst misstrauisch geworden.

Misstrauen ist bekanntlich das Gegenteil von Vertrauen.

Kein Wunder, nach Jahrzehnten des generellen Vertrauensverlustes in der Gesellschaft. Man denke an Bereiche wie Politik, Schule, Aktienmarkt, Arbeitsmarkt oder Kirche.

Fleischskandale, Umweltskandale, Bestechungsskandale, Dopingskandale, Politikerskandale, Sexskandale haben ihre Spuren hinterlassen.

Wem kann man eigentlich noch vertrauen? An wem soll man sich orientieren:

– am Papst oder den Akteuren von Germany‘s Next Topmodel
– an Herrn Müller von Volkswagen oder Günther Jauch?
– an Volkswagen, Samsung , Apple, der DEUTSCHEN BANK, oder ALDI?

Kann man einer Marke noch trauen, die die Verwendung von genmanipulierten Rohstoffen nicht offen kommuniziert?

Kann man der Bahn AG oder den Energiemonopolisten, den Banken trauen?

Ich als Verbraucher beginne langsam zu streiken, will nicht mehr mitspielen, mich nicht mehr vor den Karren spannen lassen.

Und wie reagiert die Markenartikelindustrie?

Mit Online-Präsenz auf Facebook, Instagram oder Youtube, als ob dadurch authentische Markenidentität entstehen könnte.

In Fokusgruppen beschreiben uns Verbraucherinnen HIPP als leuchtendes Beispiel für Glaubwürdigkeit. „Würde dieser Mann seinen guten Namen aufs Spiel setzen, wenn er nicht von seiner Produktqualität uneingeschränkt überzeugt wäre?“ Einem derartigen persönlichen, authentischen Bekenntnis glaubt man bedingungslos. Es wirkt wie ein Faustpfand der Ehre. Wehe, die Glaubensbereitschaft wird eines Tages enttäuscht.

Kein Verbraucher möchte mehr von hochfliegenden Perfektions-Klischees niedergehalten werden. Sympathie und Glaubwürdigkeit erzeugt nur, was authentisch und menschlich ist.

Marken, die ständig versuchen, dem Zeitgeist hinterher zu hecheln und sich nicht treu bleiben, werden immer härter von ihren treuen Kunden abgestraft.

Wer heute dem Verbraucher zuzuhören weiß, blickt in ein verunsichertes Herz. Ein Herz das geradezu nach Vertrauen schreit.

Nur noch wenige besitzen das Schlüsseltalent des Marketings, das heute zunehmend gefordert ist: zuhören können und den Wunsch nach Glaubwürdigkeit erspüren.

Positionierungsstrategie und daraus entstehende Kreativität des strategischen Denkens darf nicht mehr nur bedeuten, immer schneller kurzlebige Innovationen auf den Markt zu werfen.

Vielmehr geht es heute verstärkt darum, die gesellschaftlichen Verschiebungen im Rahmen des allgemeinen Vertrauens- und Orientierungsverlustes für die eigene Markenpersönlichkeit und die Markenführung zu nutzen.

Nur Marken, denen man bedingungslos vertraut, erreichen eine starke emotionale Bedeutung im Leben ihrer Zielgruppen. Dann erst ergibt sich Markenführung einer Markenidentität mit Glaubwürdigkeit.

Kommen wir zu meiner These: Viele alte Traditions-Marken haben im Innovationsboom der 80er und 90er Jahre den Anschluss verpasst. Sie sind gnadenlos abgehängt worden von den modernen, trendbewussten, spritzigen Marken der multimedialen Ära.

Wir erkennen in qualitativen Verbraucher-Untersuchungen, wie stark Verbraucher wieder auf vertrauensbildende Informationen wie:

  • Tradition seit 100 Jahren
  • Familienunternehmen
  • Erfahrung in der dritten Generation
  • Wir bürgen mit unserem Namen
  • Deutsche Herkunft
  • Authentische Herkunft aus Regionen (Allgäu: reine und unverbrauchte Natur; der Norden: Klarheit und Frische; Baden-Württemberg: Genießerkompetenz; aus der Schweiz: leidenschaftliche Verschrobenheit, usw.)
  • Von einer kleinen Manufaktur
  • Konsequente Beschränkung auf einen Spezialbereich ohne Überdehnung der Kompetenz
  • Deutsche Sprache, etwas unbeholfene Slogans statt aalglatter internationaler Slogans à la (amerikanischer) Konzernmarken

Die Verbraucher reagieren auf Glaubwürdigkeits-Aussagen (Reasons to believe) wie auf Leuchttürme im bedrohlichen Nebel. Das ist die Chance für gewachsene Markenpersönlichkeiten.

Die Wurst-Marke Rügenwalder hat offensichtlich vieles richtig gemacht. Sie hat auf ihre Tradition und Herkunft gebaut, hat ihre Kernkompetenz bei Teewurst und pommerschen Spezialitäten gegen alle Mitbewerber manifestiert, hat behutsam Innovationen in ihre eigene Markenbedeutung (Tradition aus Rügenwalde in Pommern) integriert.

Sie hat dann den Trend weg von zu viel Fleischverzehr erkannt und hat sich eine neue Positionierungsstrategie erarbeitet.

Neben deftigen Fleischprodukten bietet die Marke das erste innovative Vegane Wurstsortiment in einem durch Skandale erschütterten Markt.

Markenpositionierung, und Markenführung leicht gemacht? Mitnichten! Vorsicht vor Überdehnung der Kompetenz!

Die Chance für Inhaber von gewachsenen Traditions-Marken sollten ihre Marke im heutigen Umfeld überprüfen und sie zielstrebig ergreifen.

Die Zeit ist reif für glaubwürdige Comebacks von Traditionsmarken.

Gehen Sie schrittweise vor:

  1. Untersuchen Sie mit valider qualitativer Verbraucherforschung den Markenkern und vor allem die emotionalen Bedeutungen, die Ihre Traditionsmarke bei den relevanten Zielgruppen – immer noch – auslöst.
  2. Entwickeln Sie eine Marken-Vision basierend auf den gefundenen Vertrauenswerten der Marke, die glaubhaft in allen relevanten Abteilungen und Ebenen des Unternehmens in der Wirklichkeit auch „gelebt“ werden kann. Der Verbraucher möchte heute die Glaubwürdigkeit des Unternehmens hinter der Marke erkennen können.
  3. Entwickeln Sie mit kompetenten Markenberatern trennscharfe alternative Positionierungs-Konzepte, die in der Lage sind, den stärksten Kauftreiber für Ihre Markenpersönlichkeit herauszufiltern, der heute Kaufbereitschaft auslöst.
  4. Untersuchen Sie, wie viel Tradition auf der einen Seite und wie viel Moderne auf der anderen Seite Ihre Marke tragen muss, um eine erfolgreiche Markenpersönlichkeit mit Relevanz für heute zu werden, ohne ihre Glaubwürdigkeit aufs Spiel zu setzen. Beispiele wie Jägermeister, MINI, Sinalco, Leica oder Birkenstock zeigen wie viel Mut und Entschlossenheit für Erneuerung notwendig ist, um Relevanz im heutigen Leben wieder zu erlangen.
  5. Investieren Sie entschlossen und nicht zögerlich, wenn Sie Sicherheit über die Chancen und Risiken einer Marken-Wiederbelebung erarbeitet haben.

Viele halten den Erfinder der Markentechnik Hans Domizlaff für verstaubt und überholt. Sein Zitat ist fast 80 Jahre alt und heute immer noch – oder wieder?- hochaktuell: „Es gibt keine Dauerverbraucher, die einen anderen Kaufanlass anerkennen als den Glauben an die Qualität, die Preiswürdigkeit oder eine langjährige Gewohnheit.“

Vielleicht ermuntern diese Anregungen manche Inhaber „alter Traditionsmarken“ über Chancen einer glaubwürdigen und vertrauensvollen Neubelebung nachzudenken, ihre vertrauensvollen Markenpersönlichkeiten wieder zum Leben zu erwecken.

Michael Coenen
COENENPARTNER
MARKEN-POSITIONIERUNG
Düsseldorf, 09.11.2016

COENENPARTNER ist eine strategische Markenberatung, die sich auf das Thema Markenpositionierung spezialisiert hat und zum Verständnis der Konsum-Motive der Zielgruppen konsequent mit Consumer Insights arbeitet.